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Beruf, Arbeit

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Text: Ueli Abt Fotos: Baugeschichtliches Archiv ETH

Einst war die Brauerei Hürlimann im Zürcher Quartier Enge die grösste Brauerei der Schweiz. 


Wer Bier und Zürich sagt, wird um einen bestimmten Familiennamen nicht herumkommen: Hürlimann. Das Gelände in Zürich Enge der früheren Hürlimann-Bierbrauerei war einst das Zentrum der industriellen Bierbrauerei in der Limmatstadt. 1880 war sie sogar die grösste Brauerei der Schweiz. Heute steht das Hürlimann-Areal unter anderem für Wellness. In den fensterlosen Gewölben des einstigen Bierlagers suhlen sich heute die Freund*innen des Nichtstuns im warmen Wasser. Die grossen Bottiche dafür sind aus demselben Material wie einst die Bierfässer: Holz.

Auf dem Areal gibt es heute Restaurant und Hotel, Geschäfte und Wohnungen. 2008 hat zudem der Suchmaschinenriese Google hier seine Büros bezogen. In den folgenden Jahren baute das Unternehmen den Standort Zürich laufend aus: 2013 beschäftigte der IT-Gigant rund 1100 Mitarbeitende. Damit ist Zürich zum grössten Forschungs- und Entwicklungsstandort von Google ausserhalb der USA geworden. Inzwischen hat das Unternehmen weitere Standorte bezogen und beschäftigt rund 5000 «Zooglers», wie die Zürcher Angestellten im betriebseigenen Jargon heissen. Allerdings sieht man bis heute dem Hürlimann-Areal seine Vergangenheit als Bierfabrik an: Da gibt es diesen charakteristischen historischen Industriekamin vor quaderförmigen Bauten mit Sichtbacksteinen. Und auch das Logo des Areals an Fassaden und am Eingang erinnert noch ein wenig an jenes mit den drei Bierfässern, das man bis heute auf Flaschen und Dosen der Marke Hürlimann findet.

Die Erfolgsgeschichte des Familienunternehmens Hürlimann begann ausserhalb der Stadt am oberen Zürichsee. Seeaufwärts ein paar Stationen mit der S7 sind es heute bis zur Station Feldbach in der Gemeinde Hombrechtikon ZH. Im idyllisch gebliebenen Umfeld am oberen rechten Zürichsee liess Hans Heinrich Hürlimann ab 1836 Bier brauen. In dem Gebäude an der Seestrasse befindet sich heute ein Restaurant mit Bar, das auf die Geschichte des Hauses anspielt – zum Beispiel mit Bier der Marke Hürlimann. Dabei verrät auch ein Schriftzug auf der Fassade, dass das Haus einst das Stammhaus der Brauerei Hürlimann war. Die Bahnlinie gab es damals eben noch nicht. Deswegen verlegte Hans Heinrichs Sohn Albert Hürlimann die Bierproduktion 1866 nach Enge: Die damals eigenständige Gemeinde neben Zürich hatte zu jener Zeit schon einen Bahnanschluss. Mit der ersten Eingemeindung 1893 wurde die Hürlimann-Brauerei schliesslich zürcherisch.

Es bildete sich ein Bier-Kartell.

War es in den Jahrzehnten zuvor schon rund gelaufen, so begannen Mitte der 1930er-Jahre goldene Zeiten für Hürlimann. Was heutzutage nur noch im Bündner Baugewerbe möglich scheint, geschah damals in der Bierindustrie in grossem Stil: Es bildete sich ein Kartell. Die Grossen der Branche sprachen sich im Rahmen des Schweizerischen Bierbrauvereins ab und teilten sich je ein geografisches Gebiet zu. Das verringerte die Konkurrenz und half, Kosten zu sparen. Möglich war dies, weil die Bundesverfassung von 1874 Kartellbildung erlaubte. Für Wirte bedeutete dies, dass sie beim Bierangebot weder die Wahl noch Auswahl hatten und langjährige Knebelverträge in Kauf nehmen mussten. Wenn Händler Bier von einem der wenigen Aussenseiter-Brauer im Angebot hatten, drohten ihnen Lieferboykotte. Auf dem Platz Zürich kaufte derweil Hürlimann viele weitere kleine Brauereien auf, legte sie still und stand schliesslich als regionaler Platzhirsch da.


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Noch 1984 schluckte Hürlimann eine andere grosse Zürcher Bierbrauerei, die Löwenbräu im heutigen Kreis 5 – wobei mit Schlucken wiederum Aufkauf und Schliessung (1987) gemeint ist. In den Räumen der früheren Löwenbräu gibt es heute zwei Kunstmuseen. Auch Löwenbräu hatte übrigens seine firmengeschichtlichen Wurzeln im Weiler Feldbach am Zürichsee. Und es gab noch mehr Brauereien, die im Konkurrenzkampf auf der Strecke blieben oder aus anderen Gründen schliessen mussten. Erhalten geblieben ist zum Beispiel mit der Mühle Tiefenbrunnen ein Gebäude, das zunächst eine Brauerei war. Und an der Stelle des heutigen Jugendkulturhauses Dynamo gab es früher das längst verschwundene Brauhaus Drahtschmiedli.


Doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts gelangten schliesslich auch die grossen Schweizer Industriebrauereien selbst in fremde Hände. 1996 übernahm Feldschlösschen die Brauerei Hürlimann, womit diese schliesslich selbst stillgelegt wurde. Seither wird Hürlimann mit Rheinfelder Wasser in den Kesseln von Feldschlösschen bei Basel gebraut. Mit der Übernahme von Feldschlösschen durch Carlsberg im Jahr 2000 wurde die Marke Hürlimann dann gewissermassen dänisch. Fast scheint es, als ob die selbst produzierte – man möchte fast sagen, kommunistische – Langeweile des Bierkartells schliesslich zum eigenen Untergang beigetragen hätte. Jedenfalls sparte sich die Bierindustrie während Jahren die Kosten, für jede Marke separate Werbung zu produzieren. Stattdessen warb man einfach im Kollektiv für «Schweizer Bier», um damit den Absatz anzukurbeln. Allerdings ging im Verlauf der Jahre der Konsum eher zurück. Zugleich setzte in den Wirtsstuben eine gewisse Perestrojka ein, denn das Kartell hatte inzwischen nun doch ein paar ausländische Bierspezialitäten erlaubt. Der Durst nach ausländischem Bier wurde immer grösser.


Anfang der 90er-Jahre stieg auch Hürlimann aus.

Denner-Inhaber Karl Schweri bekämpfte seinerseits das Bierkartell. Mit seinem Tell-Bier und der Anspielung auf den Heldenmythos, der sich nicht der Gessler-Herrschaft beugen wollte, bediente er auf Plakatwänden geschickt die schweizerische Befindlichkeit. Allerdings verlor er so manchen Rechtsstreit und es ist fraglich, inwieweit er damit zum Wanken des Bierkartells beitragen konnte. Denn erst als mit der Fribourger Cardinal eine erste Kartellteilnehmerin ausstieg, und es damit sozusagen Widerstand in den eigenen Reihen gab, brach Anfang der 90er-Jahre der ganze Schweizer Bierostblock zusammen. Kurz darauf stiegen auch Feldschlösschen und Hürlimann aus. Zum einen ermöglichte das die Entstehung von vielen kleinen Brauereien, so auch in der Stadt Zürich. Für die grossen verbliebenen Grossbrauereien hiess das eine Konzentration auf nunmehr internationalem Niveau, bis schliesslich alle grossen Schweizer Brauereien und Biermarken entweder der dänischen Carlsberg oder der niederländischen Heineken gehörten.


Wenn auch die grossen Brauereien als Industriebetriebe aus der Stadt verschwunden sind - gebraut wird in Zürich bis heute. Im Fall jener Kleinstbrauereien, die zu einem Restaurant gehören, kann man dies als eine Rückkehr zu den Anfängen der Zürcher Brauereigeschichte sehen: Denn in den Anfängen, im 19. Jahrhundert, brauten oftmals Wirte für den eigenen Bedarf für die eigene Gaststätte. Neue Marken entstanden - deren Namen, Amboss oder Turbinenbräu, spielen auf die industrielle Vergangenheit der Stadt Zürich an. Ein Restaurant braut seit Anfang der 90er-Jahre diverse Biersorten auf dem Steinfels-Areal, einer früheren Seifenfabrik. Und auch das ist wiederum eine andere Firmengeschichte.


Brauerei Hürlimann

Bericht aus "Hello Zürich" - Stadt & Geschichte


Verknüpft mitHeinrich Stammler

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